Die Pandemie hat die Digitalisierung rasant vorangetrieben. So wichtig das Fortschreiten der Digitalisierung heutzutage auch ist, aber Menschen, die keinen Zugang zu digitalen Medien haben, dürfen dabei nicht auf der Strecke bleiben. Viele Ältere drohen in der zunehmend digitalen Welt abgekoppelt zu werden. Selbst bei einfachen Dingen wie Terminabsprachen für Behördenbesuche oder Überweisungen bei der Bank sind Menschen ohne Internetzugang im Nachteil.

Wer Behörden kontaktieren möchte, einen Impftermin vereinbaren will oder einen Museums- oder Theaterbesuch plant, der muss sich heute meist vorher im Internet informieren, denn so einfach wie früher geht das nicht mehr. Mittlerweile benötigt man einen Computer oder ein Smartphone – und reichlich Geduld, um sich zwecks Terminvereinbarung oder Buchung durch die meist unübersichtlichen Menüs zurechtzufinden. So wie „früher“, sich in einer langen Schlange geduldig anstellen um z.B. eine Eintrittskarte zu erwerben, das funktioniert heute kaum noch. Meist sind diese bereits vergriffen und man stößt auf Personal mit wenig Verständnis wenn gefragt wird, warum man nicht im voraus über das Internet die Karten erworben hat und sich dann outet, dass man mit digitalen Medien nicht vertraut ist. Auch Behördentermine vereinbaren geht heutzutage meist nur noch über das Internet.

Um die Menschen, für die das Internet ein Buch mit sieben Siegeln ist nicht abzuhängen, benötigen wir auch weiterhin analoge Möglichkeiten. Nicht jeder ist in der Lage, Onlinebanking zu tätigen. Oder erinnern wir uns zurück an den Beginn der Impfkampagne. Per Internet sollten Impftermine vereinbart werden und wer kein Internetzugang hatte, dem wurde empfohlen, dies per Telefon zu regeln. Da es mit dem Internet nicht richtig funktionierte, hatten es viele per Telefon versucht und nach unzähligen Versuchen und jeweils stundenlangen Warteschleifen entnervt aufgegeben. Die Callcenter waren überlastet und es herrschte anfangs Chaos und Frust. Besonders – aber nicht nur – ältere Menschen waren überfordert und auf Hilfe angewiesen.

Es wird davon gesprochen, dass die Digitalisierung uns das Leben erleichtern soll. Aber für viele ist es genau das Gegenteil, denn die Versprechungen der Digitalisierung entsprechen in vielen Fällen der Umsetzung nicht der Realität. Betrachten wir das digitale Steuerformular Elster für die Steuererklärung. Wer nicht über EDV-Kenntnisse verfügt und sich auch im „Steuer/Behördendeutsch“ nicht auskennt, steht auf verlorenem Posten. Das hessische Finanzministerium erlaubt z.B. die Beantwortung der Fragen zur neuen Grundsteuerfeststellung nur digital. Es wird empfohlen, wer über keinen Internetzugang verfügt oder auch mit dem Programm Elster überfordert ist, der soll sich von Verwandten oder Freunden helfen lassen. Also, gehts noch! Liebe Finanzbehörden, ist es nicht der Steuerzahler, der Euch finanziert. Was hat das noch mit Bürgernähe zu tun? – Und den Gang zum Steuerberater, den kann sich wahrlich nicht jeder leisten.

Auf unserer Website unter „Aktuelles“ (Beitrag vom 15. Oktober 2020) weisen wir auf den Achten Altersbericht der Bundesregierung hin. Nach den in 2017 erhobenen Daten haben bei den 61-66 jährigen etwa 10% keinen Zugang zum Internet. Bei den 67 – 72 jährigen sind das schon 20 % und bei den über 73 jährigen sogar 35 – 60 %. Deutlich abgehängt sind vor allem Senioren aus bildungsfernen Schichten. Fast 75 % von ihnen haben keinen Zugang zum Internet. Der Psychologieprofessor Hans Werner Wahl, Direktor des Netzwerks Altersforschung der Universität Heidelberg, sieht hierin ein echtes Problem von Altersdiskriminierung. Er erklärt: Diese Menschen hatten in ihrem gesamten Berufsleben kaum Kontakt zu digitalen Lösungen. Sie hatten niemals die Chance, sich damit zu befassen. Das Problem besteht darin, dass die Digitalisierung heute weitestgehend ohne Alternativen ist und miserabel und unverständlich umgesetzt ist. Es macht sich kaum ein Entwickler darüber Gedanken, ob und wie die Nutzer mit den digitalen Angeboten zurechtkommen. Es mangelt seitens der Hersteller digitaler Produkte an einer nachvollziehbaren Ausdrucksweise, die auch noch unübersichtlich ist und im selben Zusammenhang mit wechselnden Bezeichnungen belegt ist wie „PIN“ oder „PASSWORT“.

Besonders bei Fehlersituationen zeigen Digitalprodukte große Schwächen. Betriebsanleitungen geben z.B. vor, welcher Bearbeitungsschritt ansteht und wie man diesen auslösen soll. Aber die Bedienungsanleitungen sind oft verwirrend und nicht vollständig und die Anwendersprache ist meist nicht Deutsch. Es wird vorausgesetzt, dass der Anwender über ausreichend EDV – Kenntnisse verfügt. Aber das ist oft nicht der Fall. So verirrt sich der Anwender in einem Wirrwarr gänzlich unerwarteter Mitteilungen, meist in englisch und kann nicht feststellen, bis zu welchem Schritt er alles richtig gemacht hat und wo der Fehler liegt. Hier besteht noch viel Bedarf, die Abläufe für jedermann verständlicher zu machen.

Die Sachverständigenkommission fordert in ihrem Achten Bericht zur Lage der älteren Generation zum Thema Digitalisierung Bund, Länder und Kommunen auf alles dafür zu tun, dass Digitalisierung nicht als Generationen spaltend angesehen wird.

Der Mensch sollte bei dem Faktor Digitalisierung im Vordergrund stehen. Deswegen fordern wir auch weiterhin, dass allen Menschen uneingeschränkt der analoge Weg offen steht und keiner benachteiligt werden darf, wenn er mit digitalen Anwendungen nicht vertraut ist.

Zahlen zur älteren Generation Ü 60: Im Jahre 2020 hatte Deutschland rd. 10,3 Mio. Einwohner zwischen 60 und 69 Jahren, rd. 7.7 Mio. zwischen 70 und 79 Jahre, rd. 3,1 Mio. zwischen 80 und 84 Jahre und rd. 2,3 Mio. über 85 Jahre. Demnach sind 21,8% der Bevölkerung zwischen 60 und 80 Jahre alt und 7,1 % über 80 Jahre. Wir reden hier über einen Bevölkerungsanteil der Ü 60-jährigen an der Gesamtbevölkerung in Deutschland von fast 30 %, das sind ca. 23,4 Mio. Einwohner. Wenn hiervon nur 30 % keinen Zugang zum Internet haben, werden rd. 7 Mio. Menschen abgehängt. Es ist aber davon auszugehen, dass diese Zahl noch höher ist.

Die Erfahrung zeigt zudem auch, dass viele ältere Menschen, die zwar über einen technischen Zugang zum Internet verfügen, diesen nicht nutzen können, weil das notwendige Wissen für die Anwendung nicht vorhanden ist. In den meisten Fällen wurde durch Kinder oder Enkel das Internet auf dem Computer eingerichtet, aber dann nicht genutzt, höchstens mal, wenn Besuch anwesend ist. Hinzu kommt, dass auch bei der Generation der unter 60 – jährigen ebenfalls einige nicht mit digitalen Medien vertraut sind und sich somit die Zahl der Abgehängten noch mal erhöht. Das ist ein unhaltbarer Zustand und nicht hinnehmbar. Deswegen fordern wir für diese Betroffenen einen besseren analogen Service von Behörden, Banken, Sparkassen, Versicherungen – ein Recht auf analoges Leben.