• Beitrag veröffentlicht:1. November 2020
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29. Oktober 2020

Ralph Brinkhaus (Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU):

In der Debatte um die Maßnahmen gegen die Corona Pandemie hat der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im Deutschen Bundestag, Ralph Brinkhaus, eine inhaltlich und emotional sehr bemerkenswerte Rede gehalten. Nicht zuletzt wegen der Klarheit der Argumentation möchten wir diese Rede hier veröffentlichen. Sie stellt einiges klar und Ralph Brinkhaus stellt damit auch „das Porzellan wieder in die richtige Reihenfolge“

Wir danken Herrn MdB Michael Brand für die Zurverfügungstellung dieser Rede.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Herr Lindner, es ist das Recht und die Pflicht der Opposition, die Regierung zu kritisieren und auch zu sagen, welche Entscheidungen falsch getroffen wurden. Das ist total in Ordnung, und darüber kann man sich sachlich unterhalten. Aber ernsthafte Bemühungen, dieses Land irgendwie vor einer schweren Pandemie zu retten, als Aktionismus zu bezeichnen, ist eines Liberalen unwürdig. Ihre Vorgänger hätten sich dafür geschämt, Herr Lindner. Sie hätten sich dafür geschämt.

Meine Damen und Herren, die Bundeskanzlerin hat gesagt Wir müssen kämpfen, dieses Land kämpft, und dieses Land kämpft in einer beeindruckenden Art und Weise.

Wenn ich sehe, mit wie viel Kreativität und Improvisationstalent in den Schulen der Unterricht weiterläuft, wo die Kinder in Jacken sitzen, wo die Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler Masken aufhaben.

Wenn ich sehe, was im Gesundheitswesen läuft, wo die Leute – Rolf Mützenich hat es gerade angesprochen -, immer wieder in die Pflegeheime hineingehen und versuchen, den Betrieb aufrechtzuerhalten.

Wenn ich sehe, was in den Betrieben passiert, wo intelligent ersucht wird, mit klasse Konzepten den Betrieb aufrechtzuerhalten, damit die Wertschöpfungsketten auch erhalten bleiben. Wenn ich sehe, was die Gastronomie, die jetzt besonders hart betroffen ist, in den ergangenen Monaten geleistet hat.

Meine Damen und Herren, wenn ich insbesondere sehe, was momentan von den Familien geleistet wird, um durch diese Pandemie durchzukommen.

Und wenn mir eine alte Frau sagt: Ich habe nur noch zwei oder drei Jahre zu leben, und ich kann meine Enkelkinder nicht mehr sehen, dann berührt das, meine Damen und Herren.

Ich finde, dafür gebührt den Menschen in diesem Land erst mal ein ganz dickes Dankeschön in dieser Debatte. Ich bin stolz auf dieses Land, und bin stolz darauf, was hier geleistet wird, meine Damen und Herren.

Und die ganze Sache ist leider noch nicht zu Ende. Die Bundeskanzlerin hat es gesagt: Wir werden weiterkämpfen müssen. In den nächsten Wochen wird sich entscheiden, ob und wie wir Weihnachten feiern können.

In den nächsten Wochen wird sich entscheiden, ob unser Gesundheitssystem die Pandemie tragen kann. In den nächsten Wochen wird sich entscheiden, ob unser wirtschaftlicher Wohlstand erhalten werden kann.

Und in den nächsten Wochen wird sich auch entscheiden, wo Deutschland und Europa in dieser Welt stehen. Denn wir sehen nämlich eins, meine Damen und Herren. Totalitäre, autoritäre Systeme kommen mit Mitteln, die wir nicht einsetzen wollen, besser mit dieser Pandemie zurecht als wir.

Es geht darum, dass wir als offene, demokratische, plurale Gesellschaft beweisen, dass wir diese Pandemie auch in den Griff bekommen, meine Damen und Herren.

Deswegen werden wir hier in diesem Bundestag, wird diese Bundesregierung, werden die Landesregierungen kämpfen, kämpfen gegen diese Pandemie.

Ich kann Ihnen eins sagen: Wenn ich mir die Beschlüsse von gestern angucke, dann muss man die ganze Sache einfach mal bewerten. Beschlüsse müssen ehrlich sein, sie müssen klar sein, sie müssen einig sein, und sie müssen furchtlos sein, weil man den Menschen auch was zumuten muss.

Und die Beschlüsse von gestern sind klar, einig, furchtlos, und sie muten den Menschen was zu, und das haben wir uns nicht ausgesucht.

Da ich jetzt auch die Vertreterinnen und Vertreter der Landesregierungen hier sehe, bin ich sehr froh, dass es diesmal gelungen ist, Einigkeit herzustellen, dass wir keinen Flickenteppich haben, dass alle mitmachen. Das ist eine großartige Leistung, die gestern erreicht worden ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Diese Maßnahmen müssen auch eins machen, Sie müssen priorisieren, und die Priorität ist ganz klar: Gesundheit. Danach kommt die Priorität und zwar gleichrangig das ist wichtig , dass die Wirtschaftskreisläufe erhalten bleiben und dass Schulen und Kindergärten offen bleiben. Das war der Fehler im Lockdown am Anfang des Jahres. Das ist uns wichtig, und dafür stehen viele, viele andere Sachen dann auch zurück.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Beschlüsse müssen auch eins mitbringen Sie müssen denjenigen helfen, die jetzt besonders betroffen sind. Deswegen, lieber Peter Altmaier, lieber Olaf Scholz, bin ich sehr froh, dass Sie gestern ein großes Programm aufgelegt haben, was insbesondere der Gastronomie hilft.

Jetzt kann ich eins sagen: Herr Lindner hat gesagt, das ist ja auch alles teuer, das muss auch alles bezahlt werden Diese Menschen in der Gastronomie, im Beherbergungsgewerbe, in der Veranstaltungswirtschaft tragen für uns alle eine große Last und verdienen unsere Solidarität und verdienen auch das Geld, das wir dafür ausgeben.

Insofern kann ich nur eines sagen: Die Beschlüsse von gestern sind leider notwendig. Sie sind hart, aber sie sind angemessen, und deswegen werden sie von meiner Fraktion auch unterstützt.

Es ist hier auch über die Rolle des Parlamentes geredet worden.

Es ist unsere Aufgabe hier in diesem Plenum, immer auch abzuwägen: sitzt das Parlament noch auf dem Fahrersitz.

Die Rolle der Opposition ist, das Ganze zu kritisieren. Ich kann diese Frage beantworten. Ich könnte es mir jetzt sehr einfach machen und fragen: welches Parlament auf dieser Welt hat in dieser Pandemie so viel Mitsprache wie der Deutsche Bundestag?

Das ist aber nicht unser Maßstab.

Ich könnte Ihnen erklären – da Sie wahrscheinlich nicht da waren -, dass dieser Bundestag in 70 Debatten, in vielen, vielen Gesetzgebungsvorhaben, in Haushaltsdebatten und durch Nachtragshaushalte den Rahmen dafür gesetzt hat, was diese Regierung machen kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie verwechseln hier etwas: nur weil Sie sich mit Ihren Anträgen nicht durchgesetzt haben, versuchen Sie, die Arbeit des Parlaments dadurch zu diskreditieren, indem Sie sagen, dass dieses Parlament nicht mitredet.

Lieber Herr Lindner, Ihre Fraktion war es, die im Sommer beantragt hat, dass dieser Deutsche Bundestag erklärt, dass diese Pandemie keine nationale Tragweite mehr hat.

Gut, dass wir nicht auf Sie gehört haben.

Ich könnte Ihnen einen Vortrag darüber halten, wie dieser Staat funktioniert.

Ja, wir haben Gewaltenteilung.

Es ist daher nicht Aufgabe des Deutschen Bundestages, darüber zu entscheiden, wie hoch die Quadratmeterzahlen von Möbelhäusern sein müssen, damit sie offengehalten werden können.

Es ist nicht die Aufgabe des Deutschen Bundestages, darüber zu entscheiden, ob sich 10 oder 15 Menschen treffen. Das ist die Aufgabe der Exekutive.

Wir haben einen Bund-Länder-Föderalismus. Es ist einfach so – kleine Nachhilfe in Verfassungskunde: die Rechtsdurchsetzung obliegt den Ländern und nicht dem Bund.

Das kann man ändern wollen, aber es geht nicht, zu behaupten, dass das Parlament nicht beteiligt ist. Das ist falsch. Das ist unredlich, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Aber das entbindet uns natürlich nicht davon – Rolf Mützen – ich hat es gesagt -, immer wieder zu überprüfen: ist das denn alles richtig?

Eine Pandemie in dieser Dimension ist für uns eine neue Erfahrung. Deswegen werden wir den Überprüfungsprozess immer wieder durchlaufen. Im Übrigen haben wir die Regierung immer wieder korrigiert.

Wir debattieren nächste Woche über das Bevölkerungsschutzgesetz. Die ursprüngliche Fassung aus dem Kabinett sah anders aus. Das war unsere Arbeit als Koalitionsfraktionen. Das heißt: der Parlamentarismus in unserer Demokratie funktioniert.

Ich kann Ihnen eines sagen: natürlich müssen wir uns darüber unterhalten, ob die Bund-Länder-Beziehungen so, wie sie momentan aufgestellt sind, leistungsfähig sind.

Aber, Entschuldigung, ich kann doch jetzt nicht sagen: liebes Coid-19, mach mal eine Pause, wir müssen erst unsere Bund-Länder-Beziehungen definieren.

So geht es nicht. Wir müssen doch im Grunde genommen eines machen: wir müssen diese Pandemie bekämpfen.

Jetzt komme ich zu einem großen Thema, das mir persönlich sehr wichtig ist, nämlich das Thema Grundrechte und Freiheit.

Natürlich ist es so, dass Grundrechte und Freiheit eingeschränkt werden, das ist überhaupt keine Frage. Es ist unsere Aufgabe – Herr Lindner hat es gesagt, und ich denke, die Linken und die Grünen werden es gleich auch sagen -, immer wieder zu hinterfragen: war das richtig, und ist das angemessen?

Denn Freiheit und Grundrechte sind das höchste Gut. Herr Gauland, ich fand das jetzt ein bisschen komisch, dass Sie gesagt haben: Leben ist nicht so wichtig. Erzählen Sie das mal jemandem, der gerade seinen nahen Angehörigen verloren hat.

Aber Freiheit ist nicht nur die Freiheit der Starken und der Jungen.

Freiheit ist auch die Freiheit der CPD-Patienten, die nicht mehr aus dem Haus kommen. Freiheit ist auch die Freiheit der Kinder, die nicht mehr beschult werden und bei denen keine Elternhäuser dahinterstehen, die helfen können. Freiheit ist auch die Freiheit der alten Menschen, die in den Pflegeheimen nicht mehr besucht werden können. Freiheit ist auch immer die Freiheit der Schwachen und der anderen.

Meine Damen und Herren, in dieser Covid-Pandemie treffe ich nie nur eine Entscheidung für mich selbst. Ich treffe immer auch Entscheidungen für andere mit. Ich treffe immer auch Entscheidungen für die Schwachen mit.

Wer den Freiheitsbegriff darauf reduziert, dass die Starken ihre Freiheit ausüben können, der degeneriert den Freiheitsbegriff zum Recht des Stärkeren, und das ist nicht die Politik der Christlich Demokratischen Union und der Christlich-Sozialen Union. Ich kann Ihnen eines sagen – das habe ich schon im März gesagt -: man kann viel korrigieren.

Man kann wirtschaftliche Fehler korrigieren, man kann Schließungen korrigieren, vielleicht kann man sogar das korrigieren, was im Bildungssystem falsch läuft.

Aber ich möchte eines an dieser Stelle noch mal ganz klar sagen: Der Tod eines Menschen, der Tod eines nahen Angehörigen ist irreversibel.

Wenn wir das nicht immer wieder zum Maßstab unseres Handelns machen, dann haben wir unsere Berufung und unsere Aufgabe hier verfehlt.

Ich bin der Meinung, dass dieses Parlament der Aufgabe nachgekommen ist, immer wieder auszubalancieren: was ist an Grundrechtseinschränkungen notwendig, was ist möglich. Es gab darüber viele Diskussionen. Wir sind darüber in einem verstärkten Dialog. Ich bin auch der Meinung, dass die Bundes- und Landesregierungen sehr verantwortungsvoll damit umgegangen sind und immer wieder sehr ernsthaft abgewogen haben, was geht und was nicht geht.

Deswegen unterstützen wir die Bundesregierung und die Landesregierungen auf diesem Weg. Aber das ist kein Blankoscheck, das ist ganz klar. Sie werden natürlich immer wieder auch hier Bericht erstatten müssen.

Im Übrigen haben wir als Parlament jederzeit die Möglichkeit, das Infektionsschutzgesetz oder andere Gesetze zu ändern, Verordnungsermächtigungen zu begrenzen und vieles mehr, und dieses Recht, das werden wir uns auch nehmen.

Meine Auffassung von Parlamentarismus ist es, die Regierung zu kritisieren, die Regierung zu kontrollieren. Meine Auffassung von Parlamentarismus ist es aber auch, in der größten Krise dieses Landes, in der größten Krise seit 1945, dort, wo es möglich ist, diese Regierung zu unterstützen.

Denn eines ist klar: wenn wir aus dieser Krise herauskommen wollen, dann kriegen wir das nur gemeinsam hin, und das sollte uns in diesen Diskussionen leiten.