Ist es nicht Aufgabe christlicher Kirchen zum Frieden und zu Gerechtigkeit aufzurufen und Kriege klar zu verurteilen?
Patriarch Kyrill I., Moskauer Oberhaupt der russisch – orthodoxen Kirche, zweifelsfrei den christlichen Glaubensgemeinschaften zuzuordnen, unterstützt Putin in seiner Aggression gegen die Ukraine. Auch nach dem Überfall auf die Ukraine lässt Kyrill keinen Zweifel daran, dass er Putins Krieg als gerechtfertigt ansieht und mit ihm das Gefühl teilt, dem Westen moralisch überlegen zu sein.
Woher kommt das? Putin vertraut nur Menschen die, wie er, auf eine erfolgreiche Laufbahn im russischen Geheimdienst zurückblicken können. Zur Zeiten der Sowjetunion war die russisch – orthodoxe Kirche komplett vom russischen Auslandsgeheimdienst KGB unterwandert. Der redete auch bei der Besetzung von Spitzenämtern mit. Auch Kyrill war als damaliger Leiter des Außenamtes der russisch – orthodoxen Kirche verpflichtet, den KGB mit geheimen Berichten zu versorgen. Kyrill ist seit 1. Februar 2009 Patriarch von Moskau und der ganzen Rus und somit Vorsteher der russisch – orthodoxen Kirche. Vorher war er Erzbischof und Metropolit von Smolensk und Kaliningrad. Ohne Putins Zustimmung, der zum damaligen Zeitpunkt schon Präsident Russlands war, wäre er nie Patriarch geworden.
Die russisch – orthodoxe Kirche ist mit ihren rd. 150 Millionen Gläubigen die mit Abstand größte orthodoxe Nationalkirche. In Russland bekennen sich etwa zwei Drittel, das sind rd. 100 Millionen Menschen, zu ihr. Die übrigen Gläubigen kommen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion.
In der Ukraine sind 70 Prozent der ca. 44 Millionen Einwohner orthodoxe Christen. Die ukrainisch orthodoxe Kirche ist mit dem Moskauer Patriachat eng verbunden und hat etwas mehr als 12.000 Gemeinden. Sie ist damit mit Abstand die größte Gruppe. Die zweitgrößte Gruppe ist die von Moskau unabhängige orthodoxe Kirche der Ukraine mit ca. 6.500 Gemeinden. Daneben existieren noch drei katholische Kirchen.
Die Fronten zwischen der ukrainisch – orthodoxen Kirche, die dem Moskauer Patriarchat untersteht und der russisch – orthodoxen Kirche sind verhärtet. Es gibt Bestrebungen der ukrainisch -orthodoxen Kirche sich vom Einfluss des Moskauer Patriarchats wegen der Nähe zu Putin loszulösen. Auch ist das Verhältnis der orthodoxen – Kirche der Ukraine zu Moskauer Patriarchat völlig zerstritten. Der Sprecher der eigenständigen orthodoxen Kirche der Ukraine, Erzbischof Evstratiy, hat sich klar und deutlich von Putins Aggression distanziert. Er bezeichnete Putin in einem Interview als Antichristen und völlig gottlos wie Hitler und Stalin. Über die russischen Invasoren sagt er: „Sie kennen keine Moral“. Er sorgt sich um die Priester in den von Russland eroberten Gebieten und rechnet mit Repressalien und Entführung. „Die Russen glauben, wenn sie einflussreiche Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaft herausgreifen, kontrollieren sie alle andern“. Diese Denkweise stammt noch aus der alten Zeit der Sowjetunion. Die Russen suchen bereits nach Priestern und er selbst fürchte auch um sein Leben, denn er stehe nach Informationen ausländischer Geheimdienste auf Ziel Nr. 5 der Liste der zu tötenden Personen, wurde er vom Metropolit Epiphanius in Kenntnis gesetzt. Die ukrainisch orthodoxe Kirche gehört zum Patriarchat Konstantinopel und wird vom Moskauer Patriarchat nicht anerkannt.
Wie eng Putin und Kyrill I verbunden sind wird deutlich, dass im Anschluss an die Vereidigung Putins als Präsident Russlands in einem Gottesdienst am 7. Mai 2018 in der Verkündigungskathedrale des Kremls ein feierlicher Gottesdienst stattfand, in dem Kyrill den Staatschef nach dessen umstrittenen Wiederwahl segnete und dafür betete, dass Putin mit „Kraft und Weisheit“ das Land regieren möge, für Frieden sorge und Feinde abwehre. Dabei hob Kyrill I die spirituelle Tradition hervor, der sich der Kremlherrscher verpflichtet fühle und mit der sich die „geistigen Qualitäten unseres Volkes“ fördern ließen. Diese seien der „wahre Grund für die Unbesiegbarkeit Russlands“.
Putin und Kyrill teilen das Gefühl, einem völlig moralisch verkommenen Westen überlegen zu sein. Kyrill rechtfertigt den Angriff Putins auf die Ukraine mit einem religiös aufgeladenen Konflikt aus der Geschichte: Im Jahr 988 entschied sich Großfürst Wladimir von Kiew für die Annahme des Christentums in der byzantinischen Form. Er und sein Volk, die Rus, ließen sich taufen. Dieses Ereignis wird als Keimzelle des späteren russischen Reiches betrachtet, welches sich in diesem spirituellen Akt zugleich der byzantinischen Kultur öffnete. Das liegt allerdings 1.034 Jahre zurück. Wenn Kyrill damit diesen Krieg zu rechtfertigen versucht, der Leid, Tod und Verwüstung über die Ukraine bringt, ist das ein merkwürdiges Verständnis vom Christentum – das hat mit christlichen Glaubensvorstellungen nichts, aber auch gar nichts zu tun. Eine Kirche muss zum Frieden aufrufen, darf sich niemals nationalistisch begründen und mit nationalen Zielen identifizieren.
Kyrill rechtfertigt damit auch die schweren Kriegsverbrechen, die brutalen Vergewaltigungen, die apokalyptischen Zustände in den belagerten Städten, das Aushungern dieser Städte, die Verschleppung der Bevölkerung, Bombardements ziviler Ziele wie Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, Einkaufsmärkte und Wohnviertel mit vielen Toten. Ebenso auch die Verstöße gegen die Einhaltung völkerrechtlicher Prinzipien wie die Gewährleistung des Zugangs für humanitäre Hilfen wie lebensrettende medizinische Versorgung oder zu Lebensmitteln, die Freihaltung von Fluchtwegen für die Zivilbevölkerung. Zivilisten zu schützen und medizinischem Personal Zugang zu gewähren ist eine absolute Verpflichtung in allen Kriegen. Auch können Tote nicht würdig bestattet werden. Stattdessen findet man Leichen auf den Straßen, die nur notdürftig in einem Loch verbuddelt werden können, ohne kirchlichen Beistand.
Im fast gänzlich abgeriegelten Mariupol wird deutlich sichtbar, wie die russischen Pläne für die anderen ukrainischen Städte aussehen: Umzingeln, Abschotten und Aushungern. Kinder bekommen tagelang nichts zu trinken weil Wasser fehlt. Die Versorgung mit Lebensmittel bricht zusammen ebenso wie die medizinische Versorgung, weil keine Medikamente mehr in die Stadt kommen und alle Krankenhäuser zerbombt sind. Menschen müssen sterben, weil die Versorgung mit lebenswichtiger Medizin nicht mehr möglich ist, denn die Belagerungstruppen lassen keine Hilfskonvois mehr durch. Und das alles mit Billigung Kyrills I.
Der russischen Bevölkerung ist der Zugang zu freien und unabhängigen Nachrichten verwehrt und die regierungstreuen Medien verbreiten nur zensierte Propaganda aus Putins Sichtweise. Alle Äußerungen und Meinungen, die dieser Sichtweise nicht entsprechen, werden hart bestraft. Die Medien haben eine unabhängige Berichterstattung eingestellt.
Kyrill legte in einer Predigt in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale am 6.03.2022, am „Sonntag der Vergebung“ seine eigene Sicht auf den Ukraine Krieg dar in dem er behauptet, diese Militäroperation sei erfolgt, weil es speziell im Donbass eine grundsätzliche Ablehnung westlicher Werte gebe, aber die Menschen dazu gezwungen würden, westliche Werte zu leben und es eine Zumutung sei, „Schwulenparaden“ zu ertragen. Dieser Krieg findet mit dieser Darstellungsweise auch mit dem Segen des Patriarchen statt.
Der Papst hat sich in einer gemeinsamen Videokonferenz mit Kyrill I. für eine diplomatische Lösung ausgesprochen. Nur: Für Kyrill handelt es sich dabei nicht um einen Krieg, genauso wenig wie für seinen Bruder im Geiste, Wladimir Putin. Dabei waren sich Papst und Kyrill einig, dass die Kirchen aufgerufen sind, zur Stärkung von Frieden und Gerechtigkeit beizutragen, wie ein Sprecher des Vatikans erklärte. Sie seien sich auch einig gewesen, Hirten desselben heiligen Volkes zu sein, das an Gott, die Heilige Dreifaltigkeit und an die Mutter Gottes glaubt und es deshalb Aufgabe der Kirche ist, den Leidenden zu helfen und Wege des Friedens zu suchen, um das Feuer zu stoppen.
Papst Franziskus war nach Angaben des Vatikans sehr frustriert nach diesem Gespräch mit Kyrill, denn dieser weigerte sich, die Invasion der Ukraine als das zu bezeichnen was sie tatsächlich ist, nämlich ein Krieg. In einem vom Moskauer Patriachat verbreiteten Communiqué war lediglich von einer „kritischen Situation in der Ukraine“ die Rede. Nach Jahren der Annäherung und der ökumenischen Bemühungen droht der russische Aggressionskrieg einen neuen, womöglich für sehr lange Zeit unüberwindbaren Keil zwischen die römisch – katholische Kirche und die russisch – orthodoxe Kirche zu treiben.
„Was derzeit in den internationalen Beziehungen geschieht, hat nicht nur eine politische Bedeutung“ betonte Kyrill. „Es geht um etwas anderes und viel wichtigeres: Es geht um das Seelenheil der Menschen“. Mit anderen Worten: In den Augen Putins und Kyrills führt Putin einen heiligen Krieg, eine heilige Spezialmilitäraktion. Der Patriarch und Putin sind vereint in ihrer Homophobie, ihrem Fremdenhass, ihrer Verachtung des säkularen und demokratischen freien Westens und auch in ihrem großrussischen Wahn in der Denkweise der alten Sowjetunion. Kyrill redet genauso von der „Einheit der Rus“ wie der Diktator im Kreml, Wladimir Putin. Er wird somit zu Putins Komplizen.