Mitglieder der Senioren Union besuchten am 14. März diesen Jahres das jüdische Kulturzentrum in der von Schildeck Straße in Fulda. Es war ein sehr beeindruckender Besuch mit vielen interessanten Einblicken in jüdisches Leben und Gewohnheiten – für viele der Teilnehmer ein Blick in eine andere Welt.

Seitens der jüdischen Gemeinde begrüßte uns Wolfgang Hengstler, Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Fulda e.V. Der Vorsitzende der Senioren Union Fulda Karl – Josef Hahner bedankte sich und verwies darauf, dass es in Fulda und Umgebung seit Jahrhunderten aktives jüdisches Leben gibt. Das Zentrum der jüdischen Gemeinde in Fulda lag einst in der heutigen Straße „Am Stockhaus“, früher „Judengasse“ lt. Archivunterlagen aus dem Jahre 1367. Hier stand auch die ehemalige Synagoge, die in der Nacht zum 10. November 1938 „Reichsprogromnacht“ ausbrannte und alle Dokumente und Bücher vernichtet wurden. Heute ist jüdisches Leben in Fulda wieder präsent.

Leider ist es so, dass in Deutschland, aber nicht nur hier sondern weltweit, eine Zunahme von Antisemitismus festzustellen ist. Unsere Gesellschaft muss sich gegen jede Art von Judenfeindlichkeit wehren, kommt sie von Rechts oder auch von anderen, meist radikalen islamistischen Gruppen, die das mit dem Krieg in Palästina zu rechtfertigen versuchen. Es waren schließlich die Hamas, die am 7. Oktober 2023 Israel überfielen, tausende von Menschen ermordeten, Frauen vergewaltigten und Geiseln nahmen, von denen bis heute sich noch viele in der Gewalt der Hamas befinden. Der israelische Staat hat das Recht und die Pflicht seinen Bürgern gegenüber sich zu verteidigen. Leider wird das Täter / Opferverhältnis mittlerweile von Vielen verdreht, so Hahner.

Wolfgang Hengstler und Karl – Josef Hahner bei der Begrüßung

Herr Hengstler ergänzte, der Staat Israel ist das eine, der jüdische Glauben das andere. Es ist in Ordnung, wenn staatliches Handeln kritisiert wird. Das gibt es überall auf dieser Welt, aber das rechtfertigt nicht Antisemitismus.

Nach der Begrüßung erläuterte Herr Hengstler den Film „800 Jahre jüdisches Leben in Fulda“, den wir anschließend als Einführung sehen werden. Dieser Film wurde in Eigenregie, federführend von Herrn Hengstler, erstellt und berichtet über die bewegte Geschichte der Juden in Fulda in den letzten 800 Jahren. Den ältesten Nachweis einer größeren Zahl von Juden in Fulda erhalten wir im Jahre 1235 durch eine blutige Mordtat, in der mehr als 30 Juden getötet wurden und es zu einer kaiserlichen Gerichtsverhandlung kam. Die Tat blieb ungesühnt. In 1297 kam es zu einem ähnlichen Vorfall.

Der Fuldaer Abt Heinrich V. von Weilnau erhielt 1310 von König Heinrich das Recht, von allen in den Städten und Orten des Stifts lebenden Juden Steuern und Abgaben zu erheben. Von da an wurden mit Schutzbrief ausgestattete Juden in Fulda geduldet, hatten aber keine vollen Bürgerrechte. Sie mussten hohe Abgaben zahlen und der Zugang zu zünftigen Berufen wurde verwehrt. In dieser Zeit entstand der jüdische Friedhof Ecke der heutigen Sturmiusstraße / Rhabanusstraße.

Auch nach den Wirren der Reformationszeit und dem 30-jährigen Krieg gab es in Fulda noch eine jüdische Gemeinde. Sie lebten in einem besonderen Stadtviertel. Nach der Französischen Revolution setzte sich im 19. Jahrhundert allmählich auch die Gleichberechtigung der Juden in Fulda durch. Es wurde im Judenviertel (im Bereich der heutigen Straße Am Stockhaus) in den Jahren 1858/59 eine Synagoge gebaut, welche durch eine Mikwe, einem rituellen Bad, erweitert wurde. Diese Badeanlagen sind im Keller des heute gastronomisch genutzten Gebäudes (griechisches Lokal Ecke Am Stockhaus/Zitronenmannsgasse) noch zu sehen.

1898 entstand der Neubau einer jüdischen Volksschule – heute das jüdische Kultur- und Gemeindezentrum. 1904 wurde der neue jüdische Friedhof errichtet, der bis heute noch in Betrieb ist. Vor dem 1. Weltkrieg hatte die jüdische Gemeinde in Fulda ca. 1.000 Mitglieder.

Im Jahre 1933 lebten in Fulda, welches damals rd. 28.000 Einwohner hatte, 1.119 Menschen mit jüdischer Religionszugehörigkeit. Fast alle waren deutsche Staatsbürger, etwa die Hälfte von ihnen war in Fulda geboren. Viele Familien lebten schon seit Generationen hier.

Mit der systematischen Entrechtung und Terrorisierung der jüdischen Bevölkerung verließen viele Juden Fulda. Sie verließen Fulda zunächst innerhalb von Deutschland, ab 1935 aber gingen immer mehr in die Emigration. 1938 lebten noch 613 Juden in Fulda, 1939 nur noch 310, 1940 noch 265 und in 1941 waren es noch 115. Bevorzugtes Emigrationsland waren die USA. Nach dort verließen von 1935 bis 1941 = 278, nach Palästina = 212 und nach England = 187 Fuldaer Juden die Stadt. Andere flohen nach Kuba, Südamerika und Südafrika. Auch die Schweiz nahm in 1939 = 14 Fuldaer Juden auf. Ungewiss bleibt das Schicksal der 92 Juden, die nach Holland oder Frankreich verzogen sind. Ab dem 15. Oktober 1941 mussten alle Juden den Judenstern tragen.

Die Synagoge in Fulda wurde im November 1938 von NSDAP-Mitgliedern aus Fulda und dem Raum Kassel in Brand gesetzt. Die Feuerwehr schützte nur die umliegenden Wohngebäude der Gasse. In drei Deportationszügen am 8. Dezember1941, 31. Mai 1942 und 5. September 1942 wurden von Fulda aus 243 jüdische Männer, Frauen und Kinder in Vernichtungslager verschleppt und dort ermordet. (Quelle: Wikipedia)

Im Jahre 1960 wurde auf einem Teil des ehemaligen jüdischen Friedhofes ein Gebäude errichtet, in dem das Zollamt untergebracht ist. Im Keller des Gebäudes wurde ein Gedenkraum eingerichtet mit einer Gedenktafel: „Dieser Raum sei geweiht der Erinnerung an die Seelen aller Heiligen, Frommen und Größen in Israel, aller Männer und Frauen der altehrwürdigen Gemeinde Fulda, die hier ihre Ruhestätte fanden bis zur gewaltsamen Auflösung des Friedhofes zur Zeit der Schreckensherrschaft“. Eine weitere Gedenktafel wurde an der Ecke des Parks aufgestellt. Der Park trägt heute den Namen Jerusalemplatz.

Im Jahre 1987 wurde das Gebäude in der Schildeckstraße, welches zuvor als städtische „Hilfsschule“ genutzt wurde, durch den Oberbürgermeister der Stadt Fulda Dr. Wolfgang Hamberger wieder der jüdischen Gemeinde zur Nutzung übergeben. Dort befindet sich jetzt das jüdische Kulturzentrum, ein Museum, eine Bibliothek sowie Gemeinderäume und im ersten Stockwerk die Synagoge.

Der äußerst beeindruckende Film über „800 Jahre jüdisches Leben in Fulda“ ist jederzeit über „You Tube“ abrufbar. Einfach den Titel in die Suchmaschine eingeben und der Film steht bereit. Mal hineinschauen es lohnt sich und zeigt eindrucksvoll die bewegte Geschichte der Juden in Fulda mit ihren schlimmen, aber auch guten Phasen. Er bringt jüdisches Leben in Fulda, welches bis heute für viele völlig unbekannt ist, dem Zuschauer näher.

Nach dem Film wechselten wir von dem Vortragsraum in das Gemeindezentrum. Herr Hengstler erläuterte jüdische Feiertage und deren Bedeutung. Er verwies darauf, dass das Judentum zu den ältesten Weltreligionen gehört und auf eine jahrtausende Geschichte voller Rituale und Feierlichkeiten zurückblicken kann.

Die wichtigsten Feiertage sind Rosch Haschana, das jüdische Neujahrsfest. Dieses dauert zwei Tage und wird im Spätsommer / Herbst gefeiert. An diesem Feiertag, auch Tag des Gerichts, beten die Juden um Vergebung der Sünden. Die Männer verbringen den Tag bei einem bis zu fünf Stunden dauernden Gottesdienst in dr Synagoge, welche festlich geschmückt ist. Die vorherrschende Farbe beim Gottesdienst ist weiß. Diese findet sich im Vorhang des Toraschranks und auch in der Kleidung der Vorbeter und steht für die angestrebte Reinheit. Der Rabbiner bläst zu diesem Gottedienst ins Schofar, die mit ihrem durchdringenden Ton dieses Widderhorns die Gläubigen an ihre moralischen Pflichten erinnert.

Am Nachmittag wird der sog. Taschlich-Brauch durchgeführt. Durch Wegwerfen kleiner Gegenstände wie Brotkrümel oder Steine ins Wasser werden die Sünden symbolisch fortgewaschen. Auch zu Hause gibt es Bräuche. Kehren die Männer aus der Synagoge heim wird ein Festessen aufgetischt. Das Challe, ein Weißbrot das in Honig getaucht wird, steht für den Jahreskreislauf und der süße Wein als Symbol der Freude.

Der höchste jüdische Feiertag ist Jom Kippur, der Versöhnungstag. Er findet 10 Tage nach dem jüdischen Neujahrsfest statt und erinnert an die Versöhnung zwischen Gott und allen Menschen. Gläubige Juden halten sich an diesem Feiertag an strenge Fastenregeln und dürfen weder essen oder trinken und nicht arbeiten oder sich waschen. Auch Sex, Parfum, Schmuck und Lederschuhe sind an diesem Festtag nicht erlaubt. Viele streng gläubige Juden verbringen an Jom Kippur den ganzen Tag in der Synagoge und besuchen den Gottesdienst.

Sukkot ist ein siebentätiges Wallfahrtsfest im Herbst, welches in Gedenken an die Wanderschaft der Hebräer durch die Wüste gefeiert wird. Über die Dauer des Festes ziehen viele Gläubige in eine provisorische Laubhütte in Erinnerung daran, dass Materielles vergänglich, aber Gott ewig ist. Die Menschen finden in ihm und nicht in einem Haus dauerhafte Sicherheit. Daher wird dieser Feiertag auch als das Laubhüttenfest bezeichnet. Der erste Tag dieses Laubhüttenfestes beginnt mit einem Gottesdienst, der von Dankesliedern, Gebeten und einer Toralesung geprägt ist.

Simchat Tora: Feier zu Ehren der Tora ist ein Feiertag, der auf die Festwoche Sukkat folgt. Hier wird das wichtigste Schriftstück im Judentum gefeiert, die Tora. Bei der Simchat Tora handelt es sich um ein außerordentliches Freudenfest im Judentum, bei dem alle Torarollen aus ihrem Schrein genommen und tanzend und singend durch die Synagoge getragen werden. Die Tora enthält alle Weisungen Gottes in Form der Bücher Mose und werden im jüdischen Jahresverlauf Woche für Woche während des Gottesdienstes vorgetragen. Simchat Tora markiert den Tag, an dem das letzte Kapitel der Tora erreicht wurde und zugleich der Neubeginn der Lesung mit der Schöpfungsgeschichte beginnt. Für den Vorleser ist es eine große Ehre, als Vorleser erwählt worden zu sein.

Besonders die Kinder lieben diesen Feiertag, denn sie genießen Narrenfreiheit, dürfen in der Synagoge Streiche spielen und bekommen von den Erwachsenen Süßigkeit zugesteckt. Auch weitere Geschenke sorgen für Freude bei den Kindern. In Israel wird Simchat Tora auch auf den Straßen mit Tänzen und Gesang gefeiert und die feierlichen Umzüge sind ein beeindruckendes Schauspiel für Touristen.

Zwischen November und Dezember wird mit Chanukka die Befreiung Palästinas von den Griechen durch die Makkabäer gefeiert. In Gedenken an den Sieg 164 vor Chr. findet eine achttägige Feier statt. Unter der damaligen Fremdherrschaft war es den Juden nicht gestattet, ihre Religion auszuüben. Mit der Rückeroberung der jüdischen Tempel in Jerusalem, in dem die Griechen zuvor ihre Götter verehrten, wurde dieser gereinigt und neu geweiht. Danach ist das Fest Chanukka = Weihung, benannt.

Nach der Überlieferung befand sich in dem Tempel lediglich ein Kännchen geweihtes Öl, welches i.d.R. nur ausreichte, um einen mehrarmigen traditionellen Leuchter einen Tag zu beleuchten. Doch der Leuchter brannte ganze acht Tage und bestimmte somit die Dauer dieses Festes.

Im Frühjahr wird an Purim, einem wichtigen Ereignis in der jüdischen Geschichte gedacht. Unter persischer Herrschaft wurde die Vernichtung der ansässigen Juden durch einen einflussreichen Minister namens Haman befohlen. Der Plan konnte jedoch durch das Eingreifen der Königin Esther und ihres jüdischen Ziehvaters Mordechai verhindert werden. Zum Purin wird das Buch Esther aus den Torarollen vorgelesen. Sobald der Name Haman fällt, klappern alle in der Synagoge mit Rasseln und stampfen mit den Füssen. So soll an diesem Feiertag die Erinnerung an den Feind verblassen. Viele Familien fasten drei Tag vor diesem jüdischen Fest, so wie es Esther selbst getan hat.

Dieses fröhliche Fest beinhaltet auch sieben Pflichten, die eingehalten werden sollen. Jeder Gläubige soll beispielsweise mindestens zwei arme Menschen beschenken. Zu den Pflichten gehören auch Lesungen, Gebete und Festmahlzeiten. Ein besonderes Merkmal dieses Festes ist, dass sich die Gläubigen verkleiden und an festlichen Umzüge teilnehmen, die ein Stück weit an Karneval erinnern. Es ist an Purim ausdrücklich erlaubt sich zu betrinken in Anlehnung an das Buch Esther, dass ein Trinkgelage als Gedenken stattgefunden haben soll. Es werden auch gerne sog. Hamantaschen mit einer Füllung aus Mohn, Rosinen und vieles mehr gereicht.

Der Sabbat ist Ruhetag und häufigster Feiertag zugleich. Er wird jede Woche von Freitagabend bis Samstagabend begangen. In dieser Zeit soll der Gläubige keiner Arbeit nachgehen. Er erinnert an die Erschaffung der Welt durch Gott in sechs Tagen. Der siebte Tag, im jüdischen Kalender der letzte Tag der Woche, ist heiliger Ruhetag. Streng gläubige Juden machen an diesem Tag nicht einmal das Licht an oder drehen den Wasserhahn auf, weil dies bereits schon Arbeit ist.

In Vorbereitung auf den Sabbat werden die Einkäufe getätigt, die Wohnung geputzt und die Speisen vorgekocht. Anschließend reinigen sich die Menschen gründlich und legen Festtagskleidung an. Danach erfolgt die Sabbat-Zeremonie in der Synagoge, die den Sabbat begrüßt. Sie endet mit der Heiligung des Festes, dem sog. Kiddusch, über einem Becher Wein.

Zuhause empfängt die Mutter ihre Familie mit Sabbatlichtern, die sie vor Beginn des Feiertages entzündet hat. Außerdem hat sie zwei Becher Wein und einen mit Tuch bedeckten Teller mit Broten bereitgestellt. Die Eltern legen nun den Kindern die Hände auf und segnen sie. Mindestens drei Mahlzeiten werden während des Sabbats eingenommen und bevor das festliche Essen beginnt, ist eine rituelle Waschung vorgesehen. Dabei wird jedesmal der Kiddusch gesprochen, der die Speisen segnet. Der Sabbat endet am Samstagabend mit der Hawdalla-Zeremonie, zu der eine Kerze als Symbol der neuen Woche angezündet wird.

Das öffentliche Leben muss auch am Sabbat weitergehen. Arbeiten werden an diesem Tag i.d.R. von Nichtjuden verrichtet.

Herr Hengstler gab den Teilnehmern einen tiefen Einblick in jüdisches Leben, für viele der Anwesenden eine unbekannte Welt. Auf die Frage, wie streng das religiöse Leben gehandhabt wird antwortete er, dass das wie in allen Religionen ist. Es gibt Gläubige, die sich strikt an die Vorgaben halten und andere die locker damit umgehen.

Auf die Frage, was unter koscherem Essen zu verstehen ist erläuterte Herr Hengstler, dass das nicht so einfach zu beantworten ist. Koscheres Essen ist alles, was nach den jüdischen Speisegesetzen alles erlaubt ist. Nur Fleisch von wiederkäuernden Paarhufern ist erlaubt. Dazu zählen Ziegen, Kühe und Schafe. Schweine und Wildfleisch zählen nicht dazu. Hingegen ist Geflügel wie Huhn, Pute, Ente und Gans erlaubt, Fisch nur, wenn er Flossen hat, z.B. kein Aal, Wels, Pangasius oder Schalentiere.

Anschließend besichtigten wir die Synagoge. Sie wurde errichtet im Gebäude der ehemaligen Sonderschule in der Schildeckstraße Ecke Rangstraße. Die alte Synagoge, welche zur Reichskristallnacht von den Nazis zerstört wurde, befand sich in der heutigen Straße am Stockhaus, früher Judengasse.

Nach rd. drei Stunden verabschiedeten wir uns mit vielen neuen Eindrücken und Erkenntnissen und dankten Herrn Hengstler für diesen sehr informativen Nachmittag. Wir wünschten der jüdischen Gemeinde in Fulda, dass sie sich wohlfühlt in unserer Stadt, in unserer Gemeinschaft und keinen antisemitistischen Anfeindungen ausgesetzt wird. Es ist schon ein beklemmendes Gefühl, wenn in der heutigen Zeit Veranstaltungen im jüdischen Gemeindezentrum von Polizeischutz begleitet werden, auch diese.