Das europäische Parlament entscheidet in Kürze über die Neufassung der Richtlinie zur Gebäudeeffizienz und die Einführung eines Fahrtauglichkeitstests für Autofahrer ab 70. Wird das vom EU-Parlament beschlossen, ist dies in nationales Recht der Mitgliedsstaaten zu überführen. Wir nahmen das zum Anlass, unseren Europaabgeordneten Sven Simon zu einer Informationsveranstaltung zu diesen Themen einzuladen und auch über die Zukunft der EU zu informieren.
Herr Simon bedankte sich für die Einladung und zeigte sich überrascht und erfreut angesichts des vollen Saales. Er führte aus, dass sich das EU-Parlament mit diesen Themen derzeit beschäftigt, aber hier noch die Entscheidungen offen stehen. Die Mitgliedsstaaten müssen einstimmig den Richtlinien zustimmen.
Hinsichtlich der Neufassung der Richtlinie zur Gebäudeeffizienz gibt es noch Klärungs- und Beratungsbedarf mit einigen Mitgliedsstaaten, u.a. auch Deutschland. Es bleibt abzuwarten, welches Ergebnis dabei erzielt wird. Es ist davon auszugehen dass der Entwurf in der vorliegenden Form so nicht beschlossen wird und noch einige Änderungen kommen.
Unbestritten, der Klimawandel ist die größte Herausforderung für die Zukunft. Die EU hat sich sehr ambitionierte Ziele gesetzt, die dann für alle Mitgliedsstaaten gelten und umzusetzen sind. Die Grünen haben sich in vielen Punkten durchgesetzt und auch hier wird deutlich, dass die Vorstellungen der Grünen im EU-Parlament sehr ideologisch geprägt sind und in der vorgelegten Form kaum umsetzbar sein werden. Hinzu kommt, dass Deutschland seinen eigenen Weg geht und dies von den Mitgliedsländern der EU sehr kritisch betrachtet wird. Der Ausstieg aus der klimafreundlichen Kernenergie und der gleichzeitige Wiedereinstieg in klimaschädliche Kohlekraftwerke, wenn auch nur für einen Übergangszeitraum, findet wenig Akzeptanz innerhalb der EU und ist für die meisten Mitgliedsländer nicht nachvollziehbar. Die Alleingänge der Bundesregierung werden innerhalb der EU kritisch gesehen. Dem Klimawandel kann aber nur in einer gemeinsamen und abgestimmten Strategie begegnet werden. Deutschland geht hier seinen eigenen Weg. In den meisten Mitgliedsländern wird auf Atomkraft gesetzt. Bei uns, dem Land mit den sichersten AKWs, ist das verpöhnt. Sogar in Finnland ist ein neues AKW in Betrieb gegangen und wir nehmen in Deutschland wieder klimaschädliche Kohlekraftwerke in Betrieb. Das ist ein Widerspruch und stößt auf absolutes Unverständnis. Die deutsche Klimapolitik ist in vielen Bereichen realitätsfremd und auch in der Bevölkerung wird dafür wenig Verständnis aufgebracht. Die Bundesregierung sollte vielmehr auf Meinungen von Fachleuten und Wissenschaftlern bauen, die sich nicht dem allgemeinen Mainstream angepasst haben und realistische Lösungen vorschlagen. Diese passen leider nicht in das Grüne Weltbild. Ideologie sollte jedoch nie über der Realität stehen.
Die Bundesregierung hat bereits das Einbauverbot von neuen Gas- und Ölheizungen beschlossen – und zwar schon ab dem nächsten Jahr. Das wird den Bau von neuen Eigenheimen und Wohngebäuden gewaltig verteuern, sodass ein Rückgang bei neuen Bauanträgen zu erwarten ist. Wir brauchen aber dringend neue bezahlbare Wohnungen. Das soll zwar mit Fördergeldern bezuschusst werden, aber auch der Staat muss haushalten und kann sich nicht noch mehr verschulden, denn die Zinsen werden weiter steigen. Wir dürfen den nachfolgenden Generationen keine Hypotheken hinterlassen.
Besonders auf die ältere Generation, die in den 60er und 70er Jahre ein Eigenheim gebaut hat und deren Heizungen jetzt aus altersgründen erneuert werden müssen, kommen enorme Kosten zu. Es bleibt nicht nur beim Einbau neuer Heizungen. sondern es müssen auch Sanierungen und Wärmedämmungsmaßnahmen durchgeführt werden, sodass in vielen Fällen weit mehr als 100.000 EURO auf die Betroffenen zukommen. Das ist finanziell kaum zu stemmen, denn Kredite im Alter sind kaum zu erhalten und wer verfügt schon über so hohe Rücklagen. Wenn die Menschen beim Klimawandel nicht mitgenommen werden, wenn keine pragmatischen Lösungen gefunden werden wird es auf Widerstand stoßen, diese Maßnahmen durchzusetzen. Der Klimawandel betrifft die gesamte Welt und wenn nicht auch China, Russland, die USA, Indien u.a mitmachen, kann weder die EU und schon gar nicht Deutschland alleine das Weltklima retten.
Des weiteren ging Herr Simon auf unsere Fragen nach der Einführung eines Fahrtauglichkeitstests für Führerscheininhaber über 70 ein. Die Intention der EU-Kommission ist, die Anzahl der Verkehrstoten zu reduzieren. EU-weit waren 2020 = 20.600 Verkehrstote zu verzeichnen, davon 2.719 in Deutschland. Ziel ist es, diese Zahl stark zu reduzieren. Er führt aus, dass Fahrtauglichkeitstests für Autofahrer über 70 bereits in vielen europäischen Ländern üblich sind, bezweifelt aber, dass die schweren Verkehrsunfälle mit tödlichem Ausgang vorwiegend von älteren Autofahrern begangen werden. Laut Statistik ist die Altersgruppe 18 bis 25 Jahre am stärksten betroffen, und die hat gerade erst den Führerschein gemacht. Ältere Autofahrer verfügen über Erfahrung und fahren rücksichtsvoller und der jeweiligen Situation angepasst. Besonders im ländlichen Raum, in dem der ÖPNV nur eingeschränkt funktioniert, sind die Älteren auf ihr Auto angewiesen, sei es zum Einkaufen, Arztbesuch oder zur Wahrnehmung kultureller Angebote. Für die Generation Ü 70 ist die Mobilität mit dem eigenen Auto ein wichtiger Beitrag zur Unabhängigkeit und Lebensqualität. Insofern sieht er das Vorhaben kritisch, zumal es in Deutschland ja bereits Möglichkeiten gibt, den Führerschein freiwillig abzugeben oder auch aus gesundheitlichen Gründen, die das Autofahren unmöglich machen, einzuziehen. Er ist aus diesen Gründen gegen eine solche Regelung.
Herr Simon wurde gefragt, wie es mit der EU weitergeht, denn Frau Baerbock macht zur Zeit einigen Ländern wie Ukraine und Georgien Hoffnung auf einen EU-Beitritt. Das was in der Ukraine momentan geschieht ist nicht hinnehmbar und es ist wichtig, die Ukraine gegen die Aggression Putins zu unterstützen. Aber ist es wirklich fair gegenüber Ländern, bei denen es sich um Oligarchenstaaten handelt, in denen Korruption herrscht und die weit von den Werten der EU entfernt sind, Hoffnung auf einen EU-Beitritt zu erwecken?
Herr Simon antwortete, dass er das ähnlich sieht. Bei vielen Ländern, die der EU beigetreten sind, hat der Prozess zum Beitritt fast 20 Jahre und mehr in Anspruch genommen. Zur Zeit sind erst mal weitere Balkanstaaten in der Prüfung. Auch das gestaltet sich nicht einfach, weil es hier immer noch Konflikte gibt und auch staatliche Strukturen noch nicht überall EU-konform sind. Auch die Ukraine und Georgien sind mittel- oder langfristig keine Kandidaten für einen EU-Beitritt. Es ist zu überlegen, ob man eine andere Konstellation anbieten kann, die diese Länder enger an die EU binden, aber damit nicht eine Vollmitgliedschaft verbunden ist. Zunächst muss aber erst mal der Ukraine-Konflikt gelöst werden und dann kann man weitersehen.
Auf die Außenpolitik der Außenministerin angesprochen stellt er kritisch fest, dass diese ebenfalls sehr ideologisch geprägt ist. Sie vermittelt das Gefühl, dass hier feministische und gendergerechte Fragen eine wichtige Rolle in ihrem Handeln einnehmen. Außenpolitik muss mit Fingerspitzengefühl und diplomatischem Geschick geschehen und wir sollten es unterlassen, unsere Lebensgewohnheiten anderen Völkern und Kulturen vorzuschreiben. Man kann das von heute auf morgen nicht verändern. Das funktioniert nicht. Als Beispiel nannte er einen Besuch in Nigeria der Außenministerin, an dem er als Vertreter eines Ausschusses des EU-Parlamentes teilnahm. Sie besichtigten einen Betrieb und ihr ging es dabei um die Ausrichtung gendergerechter Strukturen. Das war befremdent, auch für die eigene Delegation. Nigeria hat sicherlich andere und wichtigere Probleme als Gendern und Feminismus.
Deutschland ist Geldgeber für viele Projekte in Asien und Afrika, ebenso in Südamerika. Finanzielle Hilfen sind meist an Bedingungen wie Einhaltung der Menschenrechte, Einführung demokratischer Strukturen oder Korruptionsbekämpfung geknüpft. China und ebenso Russland machen sich in den sog. Schwellenländer regelrecht breit. Sie stellen keine Bedingungen, sondern geben Kredite, bauen Infrastruktur und sichern sich hierbei wichtige Rohstoffe. Sie laufen mittlerweile dem Westen den Rang ab und gewinnen immer mehr an Einfluss. Auch unserer Außenpolitik würde ein bisschen mehr Pragmatismus gut tuen.
Ein Gast fragt: Die politischen Verhältnisse in Deutschland gestalten sich in mehr oder weniger zwei Blöcke. Auf der einen Seite die CDU mit z.Zt. rd. 30%, auf der anderen Seite SPD mit rd. 20 %, Grüne 20%, Linke 5% und FDP 5% sowie AFD 20%. Das ergibt eine klare Mehrheit links der Mitte, denn mit der AFD ist zur Zeit eine Zusammenarbeit politisch nicht machbar. Das bedeutet, dass die CDU als stärkste Partei kaum die Möglichkeit hat den Kanzler zu stellen, es sei denn, sie macht große Zugeständnisse an einen Koalitionspartner.
Herr Simon sieht das auch so. Die AFD ist mittlerweile im Osten wahrscheinlich sogar die stärkste Kraft mit fast 30 % laut Umfragen. Das ist ein Problem, denn es wird die stärkste Kraft ausgeschlossen. Aber in der derzeitigen Konstellation ist die AFD nicht tragbar für eine Regierungsverantwortung. Zur Zeit kommt das nicht in Frage. Es wird eingeworfen, dass sich das mit den Grünen anfangs auch so ergeben hat und daran erinnert, dass der damalige Ministerpräsident Hessens, Holger Börner die Grünen mit Dachlatten aus dem Parlament vertreiben wollte. Und was ist heute? Die Grünen regieren fast überall mit, sogar in Dreier-Koalitionen mit den Linken. Es wird durchaus die Zeit kommen, in der auch eine AFD koalitionsfähig sein könnte. Das kommt auf die künftige Ausrichtung und das Personal in dieser Partei an. Zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht. Die Zeiten, dass CDU oder SPD als die großen Volksparteien Wahlergebnisse von mehr als 40 % einfahren sind vorbei. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass Regierungsbildungen immer schwieriger werden und die starke Dominanz der beiden Volksparteien nicht mehr so wie früher vorhanden ist. In anderen Ländern ist das schon lange so. Es bleibt z.Zt. nur die Aussicht, entweder eine Minderheitsregierung der stärksten Partei anzustreben oder in Koalitionsverhandlungen große Zugeständnisse an Koalitionspartner zu machen.
Nach mehr als 2 Stunden beendete der Kreisvorsitzende Karl – Josef Hahner diesen sehr interessanten und kurzweiligen Infoabend mit unserem Europaabgeordneten. Herr Simon erntete viel Beifall, war authentisch, kompetent und verstand Klartext zu reden ohne dabei zu polemisieren. Hahner bedankte sich mit einem rustikalen Wurstkorb. Herr Simon dankte für das große Interesse und die interessante, stets sachliche und lebhafte Diskussion. Er kommt gerne wieder. Wir werden ihn beim Wort nehmen, so der Kreisvorsitzende.
In der nachstehenden Fotogalerie Bilder von diesem Abend.