Ulf Porschardt, Chefredakteur der „Welt“ beschreibt in seinem Kommentar mit der Überschrift „Feige und opportunistisch“ vom 22. Februar das Verhalten der Friedensbewegung in Deutschland. Seit Wochen stehen mehr als 100.000 russische Soldaten an der Grenze zur Ukraine bereit. Nun droht offenbar eine militärische Eskalation.

Der russische Präsident Wladimir Putin erklärte im russischen Staatsfernsehen am 21. Februar 2022, er halte es für notwendig, eine längst überfällige Entscheidung zu treffen und die Unabhängigkeit und Souveränität der Volksrepublik Donezk und der Volksrepublik Luhansk sofort anzuerkennen. Er forderte das Parlament auf, diese Entscheidung zu bestätigen und anschließend die Freundschafts- und Hilfsabkommen mit den beiden Republiken zu unterschreiben. Das soll am darauffolgenden Tag geschehen. Vorausgegangen war eine Woche vorher in einem Appell der Parlamentarier die Aufforderung auf Anerkennung der beiden selbsternannten Volksrepubliken. Deren Separatistenführer hatten Putin zuvor ebenfalls aufgefordert, die Unabhängigkeit von der Ukraine anzuerkennen.

Putin gab den Separatistenführern, die sich gerade in Moskau aufhalten, persönlich die Zusage, sie militärisch zu unterstützen und erteilte Marschbefehl in die Separatistengebiete, um dort angeblich für Frieden zu sorgen. Zudem wies Putin sein Außenministerium an, diplomatische Beziehungen zu den beiden Regionen aufzunehmen und erkennt damit diese als eigenständige souveräne Staaten an. Dass es sich bei diesen beiden Regionen um ausschließliches Staatsgebiet der Ukraine handelt, spielte für Putin keine Rolle, denn die beiden sog. Volksrepubliken gehören nach wie vor territorial und völkerrechtlich zur Ukraine. Mit diesem Beschluss verletzt Russland die territoriale Integrität der Ukraine und so verstößt Putin wieder mal, wie auch bei der Annexion der Krim, gegen internationales Recht. Harte Sanktionen blieben damals aus. Doch diesmal wird es Reaktionen des Westens mit Sanktionen geben.

Es droht Krieg im Osten von Europa, direkt vor unserer Haustüre. Wir haben in Deutschland eine Friedensbewegung – aber wo ist sie, wo ist ihr Aufschrei gegen diesen drohenden militärischen Konflikt? Damit befasst sich der von mir zuvor geschilderte Kommentar von Ulf Poschardt in der Ausgabe der „Welt“ vom 22. Februar 2022. Darin heißt es, wortgetreu wiedergegeben:

Es gibt keine Friedensbewegung in Deutschland. Es gibt eine linksnationale Empörung, wenn die USA angeblich „Weltpolizei spielen“ während die Deutschen moralisierend auf dem Hochsitz Däumchen drehen oder Volksreden halten. Es gibt auch keine Bürgerrechtsbewegung in Deutschland. Es gibt eine Empörung, wenn in den USA ein Polizist einen Verdächtigen tötet. Es gibst auch keine politischen Intellektuellen, die sich für Meinungs- und Kunstfreiheit einsetzen, sondern 1557 „Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Schriftsteller*innen und Kulturschaffende“, die in einem offenen Brief darauf bestehen, dass man Israelis (gemeint sind vor allem Juden) doch boykottieren dürfe.

In Europa droht Krieg und die sogenannte Friedensbewegung schweigt. Nicht ganz: Vor der Münchner Sicherheitskonferenz protestierten ein paar Friedensbewegte vor allem gegen die Nato. Anfang der Achtziger wurde die mit der Friedensbewegung flirtende SPD von Heiner Geißler noch als „fünfte Kolonne der anderen Seite“ (also Moskaus) bezeichnet. Damals ging es unter anderem um die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Das war polemisch – aber dennoch traf es einen Punkt. Die heutige Friedensbewegung ist aber nur in Teilen eine pro-russische Aktivismus-Veranstaltung, sondern vor allem ein nationalmoralischer, komplexbeladener Empörungsladen, der die Amerikaner nicht mag. Um es vorsichtig zu sagen.

Am 15. Februar 2003 demonstrierten in Berlin rund 500.000 Menschen auf der Straße, es ging um den Irakkrieg. Jetzt zeichnet sich ein Krieg vor der Haustür ab – und es interessiert niemanden. Aber wenn es jemanden gäbe, der sich über so eine Demo ärgern würde, es wäre Putin, dem ein gutes Image in Deutschland sehr wichtig ist. Man sieht es an der AfD, den Linken und Teilen der SPD. Die helfen da gerne. Die sogenannte Friedensbewegung interessiert das nicht, weil es nicht gegen die USA, den Westen, die realpolitischen Mühen der Verantwortungsethik geht.

Die deutsche Friedensbewegung ist erbärmlich. Sie ist feige und opportunistisch. Wenn jetzt ein blutiger, scheußlicher Krieg in Europa geführt wird, an dessen Ende ein Autokrat wie Putin sein Schreckensreich ausweitet, dann wird man sich daran erinnern müssen, dass sie nichts, aber auch gar nichts dagegen getan hat. Nichts. Null. Der Moralismus in Deutschland, zu dem sich der Vulgärpazifismus bekennt, ist nichts wert. Auf fast keinem gesellschaftlich-politisch relevanten Feld.