Der Bundestag wählte am 8. Dezember 2021 Olaf Scholz mit 395 Stimmen zum neuen Bundeskanzler. Die Ampelkoalition verfügt über insgesamt 416 Mandate. Es ist allerdings festzustellen: Aus den eigenen Reihen haben somit 21 Abgeordnete Olaf Scholz nicht gewählt.

Der Koalitionsvertrag, der unter der Überschrift: „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ steht, wurde zwei Tage zuvor von den Ampelparteien unterzeichnet und liegt jetzt vor. Er kann unter dem nachstehenden Button heruntergeladen werden.

Über den Koalitionsvertrag wurde in den Medien bereits ausführlich und umfangreich berichtet und dieser auch unterschiedlich bewertet. Er beinhaltet ein klares Bekenntnis zur EU. Der Vertrag ist sehr pragmatisch gehalten. Ideologien, von denen der Wahlkampf stark geprägt war, sucht man vergeblich. Es geht vorrangig darum, private und staatliche Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und Klimaschutz zu verstärken, Steuern nicht zu erhöhen, die Möglichkeit von Abschreibungen zu erweitern und Innovationen wie Wasserstofftechnologien voranzutreiben. Die Koalitionsvereinbarung trägt unübersehbar die Handschrift der FDP. Sie hat sich mit vielen ihrer grundsätzlichen Forderungen wie die Einhaltung der Schuldenbremse, keine höheren Steuerbelastungen, kein Tempolimit auf Autobahnen u.a. durchgesetzt. Auch das Finanzministerium, welches Robert Habeck im Vorfeld für sich reklamierte, ging an Christian Lindner und damit an die FDP. Ebenso das Verkehrsministerium, mit dem man aktiv über die Verkehrspolitik in die Klimapolitik einwirken kann und das die Grünen gerne übernommen hätten, ging an den ehemaligen FDP Generalsekretär Volker Wissing. Die FDP kann mit der Koalitionsvereinbarung zufrieden sein. Die linken Flügel der SPD und der Grünen konnten viele ihrer Forderungen nicht durchsetzen und kündigten bereits Nachbesserungsbedarf im Klimaschutz und bei der Frage der sozialen Gerechtigkeit, sprich Umverteilung, an. Auch der designierte Generalsekretär der SPD Kevin Kühnert geht davon aus, dass es hier noch Anpassungen geben muss.

Staatliches Handeln soll lt. Koalitionsvereinbarung schneller und effektiver gemacht werden, um sich u.a. besser auf künftige Krisen vorzubereiten. Die Frage stellt sich allerdings: Kann man sich auf Krisen überhaupt vorbereiten? Sie kommen doch in der Regel völlig unangemeldet. Es wird in diesem Zusammenhang auch der Wille zum Bürokratieabbau bekundet. Das klingt gut, aber das stand auch schon in früheren Koalitionsvereinbarungen und ich möchte daran erinnern, die SPD war in den letzten Jahren immer an der Regierung beteiligt. Also nichts Neues.

Die Digitalisierung ist ein wichtiges Anliegen des Koalitionsvertrages. Die Digitalisierung in Staat und Gesellschaft soll besser genutzt werden. So soll ein grundlegender Wandel zu einem digitalen Staat erreicht werden, der vorausschauend für dessen Bürgerinnen und Bürger arbeitet. Insbesondere soll die Verwaltung agiler und digitaler werden. Das ist zwar ein wichtiges Anliegen, aber dabei ist zu bedenken, dass in unserem Lande noch viele Menschen gibt, die weder über die erforderliche Ausstattung noch über die Kenntnisse, digitale Angebote zu nutzen, verfügen. Davon besonders betroffen ist die älteren Generation. Es darf nicht sein, dass alle, die sich in der digitalen Welt nicht bewegen oder sich damit nicht auskennen, abgehängt werden. So war doch festzustellen, dass es z.B. Probleme bei der Onlineanmeldung zum Impftermin für viele gab und das dann zu einer Resignation bei den Betroffenen führte. Es müssen daher Alternativangebote für diesen nicht gerade kleinen Personenkreis bereitgestellt werden. Das gilt gleichermaßen für alle Lebensbereiche insbesondere für Behörden, Banken, Krankenkassen u.a.

Das Wahlrecht soll überarbeitet werden. Die Überarbeitung des Wahlrechts um das Anwachsen des Bundestages zu verhindern ist dringend erforderlich. Bei der jetzigen Zusammensetzung des Bundestages sind die Linken mit 39 Abgeordneten vertreten, obwohl sie an der 5% Hürde gescheitert sind. Da die Linken drei Direktmandate erzielten, entfällt die 5% Hürde und sie zieht mit ihrem tatsächlichen Gesamtergebnis in den Bundestag ein – also jetzt mit 39 statt 3 Abgeordneten. Das wäre schon mal ein Ansatz und wir hätten 36 Abgeordnete weniger. Die Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre und die Begrenzung der Amtszeit des Bundeskanzlers ist sicherlich wert, näher zu untersuchen. Die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre hingegen ist kritisch zu betrachten. Dann müsste man die Volljährigkeit auch runtersetzen und ebenso einige Rechtsvorschriften, insbes. im Strafrecht, anpassen.

Künftig soll mehr in die Schiene als in die Straßen investiert werden. Der ÖPNV soll verbessert, die Fahrgastzahlen erhöht werden. Hier merkt man, dass viele der Entscheidungsträger in den Städten wohnen. Das mag in den großen Städten mit ausgebautem S- und U-Bahn-Netz funktionieren, aber nicht im ländlichen Raum mit einem hohen Anteil an Pendlern. Auch ist der ÖPNV im ländlichen Raum schwieriger zu organisieren. Um diesen einigermaßen attraktiv zu machen, müsste ein stündlicher, besser noch halbstündiger Taktverkehr installiert werden, was ein hoher Finanzaufwand erfordert. Auf den ländlichen Raum wird in der Koalitionsvereinbarung ohnehin nur unzureichend eingegangen. Es gibt zwar die Festlegung, für gute Lebensbedingungen in Stadt und Land sorgen zu wollen. Bund und Länder sind in der Verantwortung für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen. Es wird hierzu auf Förderprogramme verwiesen. Aber hier hätte ich mir mehr gewünscht, denn der Unterschied der Strukturen von Ballungszentren und großen Städten zum ländlichen Raum sind gewaltig, insbesondere hinsichtlich des ÖPNV, des Bildungsangebotes, der infrastrukturellen Nahversorgung sowie der medizinischen Versorgung, besonders bei Notfällen sowie bei ortsnahen Arbeitsplatzangeboten. Darauf wird leider nicht eingegangen.

Besonders bedeutsame Infrastrukturmaßnahmen sollen beschleunigt auf den Weg gebracht und mit hoher politischer Priorität umgesetzt werden. Hierunter fallen systemrelevante Bahnstrecken, Stromtrassen und Ingenieurbauwerke wie kritische Brücken. Für geeignete Fälle kommt auch eine Übernahme des Raumordnungsverfahrens durch den Bund in Betracht. Begonnen werden soll mit den Schienenprojekten aus dem Deutschlandtakt – darunter der Ausbau/Neubau der Bahnstrecke Hanau-Würzburg/Fulda-Erfurt. Für unsere Region eine gute Nachricht, denn das bedeutet eine Halbierung der Verfahrensdauer. Schauen wir mal, wie es hier weitergeht.

Der Klimaschutz ist zentraler Bestandteil der Vereinbarung. Dem neuen Wirtschafts- und Klimaministerium wird ein Vetorecht bei allen gesetzlichen Vorhaben eingeräumt und es erhält somit großen Einfluss. Der verstärkte Einsatz erneuerbarer Energien soll den Weg zur Klimaneutralität beschleunigen. Im Jahre 2030 soll der Anteil erneuerbarer Energien bereits 80% des Stromverbrauchs ausmachen. Das Erreichen der Pariser Klimaschutzziele ist ein sehr ambitioniertes Ziel, aber eher unrealistisch, denn dieses kann nur global zusammen mit der Weltgemeinschaft erreicht werden. Deutschland selbst trägt mit nicht mal 2% am weltweiten CO² – Ausstoß bei. Selbst wenn Deutschland völlig klimaneutral wäre, würde das keine Auswirkungen auf das Klima und die Erderwärmung haben, wenn die großen Verursacher wie China, Russland, USA, Indien u.v.a. nicht mitmachen. 2030 soll nach der Koalitionsvereinbarung der Kohleausstieg erfolgen. Das heißt, bis dahin muss dann auch die Versorgungssicherheit gewährleistet sein – oder wollen wir Atomstrom aus dem Ausland einkaufen?

Unter dem Grundsatz, jede Arbeit verdient Respekt und Anerkennung wird der Mindestlohn auf 12 €/Stunde angehoben. Das ist genaugenommen ein Eingriff in die Tarifautonomie. Man hätte diese Entscheidung der Mindestlohnkommission überlassen müssen, welcher die Aufgabe übertragen wurde, hierüber in eigener Zuständigkeit ohne politischen oder parteipolitischen Einfluss zu entscheiden. Diese Kommission wurde hiermit entmachtet. Olaf Scholz hat aber im Wahlkampf gebetsmühlenartig Versprechungen für einen Mindestlohn von 12,50 € gemacht, wohlwissend, dass hierfür andere Zuständigkeiten verbindlich festgelegt sind und damit entscheidende Stimmen geholt. Wer im Wahlkampf von Respekt redet, von dem muss erwartet werden, dass er auch Zuständigkeiten respektiert. Aber eines steht auch fest: Die Erhöhung des Mindestlohns verteuert das Endprodukt. Die Folge sind Preissteigerungen und damit eine noch höhere Inflationsrate.

Auch das Rentenniveau soll dauerhaft bei 48 % verbleiben und der Beitragssatz stabil bleiben. Außerdem soll das Renteneintrittsalter nicht erhöht werden. Die Einführung einer privaten Aktienrente ist dabei zu begrüßen. Aber es wird ein demographisches Problem geben, denn in den nächsten Jahren werden die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer in den Ruhestand gehen. Will man dann die Stabilität der Renten gewährleisten und das Renteneintrittsalter nicht erhöhen funktioniert das nur mit Unterstützung durch einen zusätzlichen Zuschuss durch den Bund.

Anstelle Hartz IV wird ein Bürgergeld eingeführt. Der Vermittlungsvorrang wird abgeschafft, Qualifizierung und Weiterbildung erhalten einen höheren Stellenwert und Sanktionen werden weniger. Das Prinzip, fördern und fordern, welches in den letzten Jahren massiv zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit beigetragen hat, darf hierbei jedoch nicht ad absurdum geführt werden. Die neben der Einführung des Bürgergeldes zusätzlichen sozialen Leistungserweiterungen wie höheres Elterngeld, Dynamisierung des Pflegegeldes und zusätzliche Kinderkrankentage werden zwangsläufig zu steigenden Sozialversicherungsbeiträgen führen. Dessen muss man sich bewusst sein.

Cannabis soll kontrolliert an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäfte freigegeben werden. Das bedeutet hoffentlich nicht der Einstieg in die Legalisierung von Drogen. Hier ist Vorsicht geboten.

Ein sehr ambitioniertes Ziel ist der Bau von 400.000 neuen Wohnungen jährlich, davon 100.000 öffentlich gefördert. Das Ziel, serielles und modulares Bauen voranzutreiben und zu erleichtern, indem bauplanungs- und bauordnungsrechtliche Hürden beseitigt werden sollen, ist durchaus erstrebenswert und könnte dazu beitragen, Baukosten zu senken und damit günstigeren Wohnraum zu erstellen.

Der Koalitionsvertrag ist in einigen wichtigen Punkten sehr vage und in vielen Passagen wenig konkret, besonders hinsichtlich der Finanzierung der Vorhaben. Man muss kein Prophet sein um vorauszusagen, dass im Laufe der Legislaturperiode die zur Zeit dargestellte Einigkeit der Koalitionspartner bröckeln und es zu Konflikten kommen wird. Die Regierenden müssen dann unter Beweis stellen, dass sie in der Lage sind, diese Konflikte auch zu lösen. Das bleibt abzuwarten.

Eines aber muss man den Koalitionären bescheinigen. Während den Koalitionsverhandlungen ist nichts nach außen gedrungen. Die Beteiligten waren äußerst diszipliniert. Man durfte bis zuletzt gespannt sein, ob die drei Ampelparteien, die in ihren Wahlprogrammen in vielen wichtigen Punkten völlig unterschiedliche und stark konträre Positionen vertraten, die sehr weit auseinander lagen, sich einigen werden. Das war eine hervorragende Leistung der Verhandler. Die Parteigremien haben dem Koalitionspapier mit sehr großer Mehrheit zugestimmt. Aber ob diese Einigkeit von Dauer sein wird, bleibt abzuwarten. Vor allem bleibt abzuwarten, ob bzw. wie lange die JUSOS, die immerhin mit 49 Abgeordneten im Bundestag vertreten sind und ebenso auch die anderen nicht wenigen SPD-Parteilinken, sowie der linke und fundamentale Flügel der Grünen, die einen radikalen Kurswechsel in der Sozial- und Klimapolitik forderten, still halten.

Die Koalitionsvereinbarung beinhaltet keine Aussagen über die Finanzierung der sehr ambitionierten Ziele. Wer Geld umverteilen will benötigt auch jemanden, der die Umverteilungsmasse vorher erwirtschaftet, es sei denn, man will neue Schulden machen. Aber dagegen spricht die Schuldenbremse, die in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben ist. Es wird also sehr spannend.

Die Personalfragen sind geklärt, die neue Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD, 63, steht. Kanzleramtschef wird Wolfgang Schmitt, SPD, 51, ein enger Vertrauter von Olaf Scholz. Wirtschaft und Klimaschutz übernimmt Robert Habeck, Grüne, 52. Er wird gleichzeitig Vize-Kanzler. Das Resort Finanzen übernimmt Christian Lindner, FDP, 42. Außenministerin wird Annalena Baerbock, Grüne, 40. Sie will eine härtere Gangart gegen autokratisch geführte Länder fahren, die sich nicht an die Menschenrechte halten, insbes. gegen China und Russland. Hier darf man gespannt sein ob das gelingt oder sie scheitert. Verkehr und Digitales geht an Volker Wissing, den bisherigen Generalsekretär der FDP, 51. Das Ministerium für Justiz übernimmt Marco Buschmann, FDP, 44, bisher parlamentarischer Geschäftsführer der FDP Bundestagsfraktion. Ministerin für Bildung und Forschung wird Bettina Stark-Watzinger, FDP, 53. Das Ministerium für Familie , Senioren, Frauen und Jugend wird von der Grünen Anne Spiegel, 40, geleitet. Sie war bereits 5 Jahre Familienministerin in Rheinland Pfalz, zuletzt dort Umweltministerin. Das Ministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz leitet künftig Steffi Lemke, Grüne, 53. Sie kommt aus Sachsen-Anhalt und leitete als Bundesgeschäftsführerin elf Jahre lang die Geschicke der Grünen. Minister für Ernährung und Landwirtschaft wird der ehemalige Chef der Grünen, Cem Özdemir, 55, der zu seiner Ernennung mit dem Fahrrad anreiste. Das Ministerium für Arbeit und Soziales verbleibt bei Hubertus Heil, SPD 49. Eine Überraschung war die Besetzung des Innenministeriums mit der hessischen Fraktions- und Landesvorsitzenden Nancy Faeser, SPD, 51. Sie hat angekündigt, Rechtsextremismus und Hetze im Netz zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium leitet künftig Frau Christine Lambrecht, SPD, 56, in der großen Koalition zuletzt Justizministerin. Eine mit Spannung erwartete Entscheidung war die Besetzung des Gesundheitsministeriums mit Karl Lauterbach, SPD, 58, der in den letzten beiden Jahren durch ständige Präsens in Talk Shows die Corona-Politik kommentierte. Jetzt kann er beweisen, dass er es besser macht als sein Vorgänger. Das Bauministerium übernimmt die aus Potsdam stammende Klara Geywitz, die sich zusammen mit Olaf Scholz um den Parteivorsitz bewarb und beide unterlagen. Ministerin für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im neuen Kabinett wird die bisherige Umweltministerin Svenja Schulze, SPD, 53. Bisher gab es 15 Ministerien, jetzt sind es 16.

Olaf Schulz ist es gelungen, die neue Ministerriege, die im Altersdurchschnitt gegenüber den Regierungen zuvor jünger ist, weiblich und männlich paritätisch zu besetzen. Der Osten beklagt sich, zu wenig im neuen Kabinett vertreten zu sein und einen Vertreter aus Bayern findet man gar nicht.

Eines muss man den Koalitionären bescheinigen: Sie haben eine euphorische Aufbruchstimmung erzeugt, große Versprechungen gemacht und Erwartungen geweckt. Warten wir es mal ab und ziehen zu gegebener Zeit Bilanz, was aus all den Versprechungen geworden ist.

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